„Herr“ oder „Frau“ – wenn Anreden zum Datenschutzproblem werden
Wer hätte gedacht, dass die verpflichtende Angabe der Anrede bei der Buchung eines Bahntickets eines Tages die höchsten europäischen Richter beschäftigen würde? Mit seinem Urteil vom 9. Januar 2025 (Az. C‑394/23) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Frage nach „Herr“ oder „Frau“ gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstößt. Der Grund: Die Erhebung dieser Information sei weder notwendig für die Vertragserfüllung noch ausreichend begründet.
Dieses Urteil wirft nicht nur Fragen auf, sondern lässt auch die Augenbrauen vieler Juristen nach oben schnellen. Hat der Datenschutz in Europa einen Punkt erreicht, an dem selbst alltägliche Angaben infrage gestellt werden müssen? Was auf den ersten Blick wie ein Sieg für den Verbraucherschutz erscheinen mag, wirft bei näherer Betrachtung erhebliche Zweifel auf, ob solche Entscheidungen wirklich im Interesse der digitalen Wirtschaft und einer pragmatischen Umsetzung der DSGVO liegen.
Hintergrund des Urteils
Der Fall wurde von dem französischen Verband „Mousse“ initiiert, der eine Beschwerde gegen die das französische Bahnunternehmen SNCF Connect einreichte. Die Beschwerde richtete sich gegen die Praxis, Kunden beim Online-Ticketkauf zur Angabe ihrer Anrede zu verpflichten. Die französische Datenschutzbehörde CNIL wies die Beschwerde zunächst ab, woraufhin Mousse vor dem französischen Staatsrat Klage erhob. Dieser legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor.
Kernaussagen des EuGH
Der EuGH stellte fest, dass die Erhebung der Anrede weder objektiv unerlässlich noch wesentlich für die Erbringung der Beförderungsleistung ist. Die Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten kann daher nicht als für die Vertragserfüllung erforderlich angesehen werden. Zudem betonte der EuGH, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zur Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen nur dann zulässig ist, wenn dieses Interesse den betroffenen Personen mitgeteilt wurde und die Verarbeitung innerhalb der unbedingt notwendigen Grenzen erfolgt. In diesem Fall wurde jedoch festgestellt, dass die Grundrechte und -freiheiten der Kunden, insbesondere im Hinblick auf mögliche Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität, überwiegen.
Auswirkungen auf die Praxis
Dieses Urteil wirft grundlegende Fragen zur Praxis der Datenerhebung in digitalen Geschäftsprozessen auf. Unternehmen sind nun gefordert, ihre Datenverarbeitungspraktiken kritisch zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie im Einklang mit der DSGVO stehen. Die Entscheidung des EuGH unterstreicht die Bedeutung des Grundsatzes der Datenminimierung, der besagt, dass nur solche Daten erhoben werden dürfen, die für den jeweiligen Zweck erforderlich sind.
Es stellt sich die Frage, inwieweit andere gängige Praktiken der Datenerhebung, die bisher als unbedenklich galten, nun auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Die verpflichtende Angabe der Anrede ist in vielen Online-Formularen Standard. Unternehmen sollten nun abwägen, ob diese Praxis weiterhin gerechtfertigt ist oder ob sie alternative Ansätze wählen sollten.