Anfechtung einer Ausschlagung der Erbschaft wegen Irrtums über die Zusammensetzung des Nachlasses

03.02.2025

OLG Frankfurt a.M. Beschluss vom 24.7.2024 – 21 W 146/23

Mit Beschluss vom 24.7.2024 befasste sich das OLG Frankfurt mit der Frage, wann ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft vorliegt und zur Anfechtung der Ausschlagung nach §1954, 119 Absatz 2 BGB berechtigt. 

  1. Zum Sachverhalt:

Die Tochter der Erblasserin hat die Erbschaft nach ihrer Mutter, zu der sie seit ihrer Kindheit keinen Kontakt mehr hatte, zunächst ausgeschlagen.  Mittels Schreiben des Nachlasspflegers erfuhr die Tochter später, dass ein Girokonto und ein Sparbuch mit Guthaben iHv insgesamt EUR 72.077,87 vorhanden seien, woraufhin die Tochter im März 2022 mit notariell beglaubigter Urkunde die Anfechtung der Ausschlagung erklärt und in der Folge einen Alleinerbschein beantragt hat. Zur Begründung hat Sie angeführt, dass ihr die Existenz des Girokontos und des Sparbuchs nicht bekannt gewesen seien. Sie habe sie sich über die Zusammensetzung des Nachlasses im Irrtum befunden. 

Sie sei nach dem Ableben der Erblasserin von der zuständigen Kriminalbeamtin dahingehend informiert worden, dass die Wohnung der Erblasserin in einem chaotischen und unaufgeräumten Zustand gewesen sei. Zudem sei ihr auf Nachfrage mitgeteilt worden, dass sich die Wohnung in einem sozialen Brennpunkt im Bahnhofsviertel befinde. Ihre nachfolgend angestellte Internetrecherche hat dies bestätigt.  

Vor dem Hintergrund der ihr von der zuständigen Kriminalbeamtin mitgeteilten Informationen und ihrer selbst angestellten Recherchen und unter zusätzlicher Berücksichtigung ihrer schlimmen Kindheitserfahrungen, die von der Alkoholkrankheit ihrer Mutter geprägt waren, ist sie davon ausgegangen, dass ihre Mutter sozial „abgerutscht“ sein und kein Aktivvermögen im Nachlass vorhanden gewesen sei, woraufhin sie die Erbschaft ausgeschlagen habe. 

Das Nachlassgericht hat den Antrag der Tochter zurückgewiesen. Einer Beschwerde der Tochter wurde durch das Nachlassgericht nicht abgeholfen. 

  1. Rechtliches:

Die Beschwerde vor dem OLG Frankfurt a.M. hatte Erfolg. Die Anfechtung der Ausschlagung durch die Tochter sei wirksam. Die Anfechtung gelte demnach gemäß §1957 Absatz 1 BGB als Annahme. 

Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses; nicht über den Wert an sich

Ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gemäß §1954, §119 Absatz 2, der zur Anfechtung berechtige, liege hier vor. Denn falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, hinsichtlich der Existenz eines Girokontos und eines Sparbuchs, rechtfertigten im vorliegenden Fall die Annahme eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft. 

Die Tochter habe sich hier nicht um den bloßen Wert des Nachlasses an sich geirrt. Das alleine hätte keinen Anfechtungsgrund dargestellt, weil der Wert an sich keine Eigenschaft einer Sache ist. 

Vielmehr habe sie über die Existenz eines Girokontos und eines Sparbuchs innerhalb des Nachlasses und damit über die Zusammensetzung des Nachlasses geirrt. Der Irrtum über die Zusammensetzung stelle einen Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses dar, welcher gemäß §119 Abs.2 BGB zur Anfechtung berechtigt. 

Kein Ausschluss der Anfechtung wegen bloßer Spekulation auf Grundlage ungenauer zeitferner Informationen

Der Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses sei auch ursächlich für die Ausschlagung gewesen. Für die Annahme eines solchen Irrtums ist eine Abweichung der Vorstellung des Erklärenden von der Realität erforderlich. 

Ein die Anfechtung begründender Irrtum liege deshalb dann nicht vor, wenn die Ausschlagung unabhängig von Grund und Höhe der Erbschaft bewusst auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen erfolge, weil hierbei die Vorstellung des Erklärenden nicht von der Realität abweiche, sondern der Erklärende auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen nur das Vorliegen einer bestimmten verkehrswesentlichen Eigenschaft für wahrscheinlicher hält als deren Nichtvorliegen. 

Nicht zur Anfechtung berechtigt sei daher, wer unter bewusstem Verzicht auf eine nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen vermutliche Größe unterliegt, er also nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter Fakten zu dem Ergebnis gelangt ist, die Erbschaft vorzunehmen oder auszuschlagen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer Grundlage getroffen hat. 

Diese, die Anfechtung ausschließenden Voraussetzungen, liegen aus der Sicht des OLG Frankfurt in dem entschiedenen Fall nicht vor. 

Die Tochter habe die Erbschaft nicht auf bloß spekulativer Grundlage ausgeschlagen. Sie habe sich insbesondere nicht auf ihre bloßen Kindheitserinnerungen und damit auf zeitferne Erfahrungen aus der Vergangenheit verlassen. 

Vielmehr habe sie sich durch die zuständige Kriminalbeamtin die Wohn- und Lebensumstände der Mutter vor ihrem Tod schildern lassen. Zudem habe sie eigene Internetrecherchen angestellt, um sich über die Lebensumstände und Vermögensverhältnisse der Mutter zu informieren. Dass die Tochter aufgrund der gewonnen Informationen und vor dem Hintergrund der aus der Vergangenheit bekannten jahrelangen Geldnot der Erblasserin zu der den Überzeugung gelangte, dass die Mutter vor ihrem Tod über keinerlei Vermögen verfügte und der Nachlass überschuldet sei, sei daher objektiv nachvollziehbar.

Ein für die Ausschlagung kausal gewordener Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft liege daher vor. 

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