Kein konkludenter Verzicht auf Zusatzpflichtteil durch vorbehaltlose Annahme eines Vermächtnisses
Das Urteil des OLG Celle befasst sich mit dem Verzicht auf den Zusatzpflichtteil nach §2307 Abs.1 S.2 BGB. Es ging um die Frage, ob ein Pflichtteilsberechtigter, der ein Vermächtnis annimmt, auf den Zusatzpflichtteil verzichtet.
Der Erblasser hatte in seinem Testament seine Ehefrau, mit der er in zweiter Ehe verheiratet war, als Alleinerbin eingesetzt. Zugunsten seiner vier Kinder aus erster Ehe verfügte er verschiedene Vermächtnisse. Nach dem Tod des Erblassers nahmen die Kinder aus erster Ehe die Vermächtnisse an und erhielten aus dem Verkauf eines Grundstücks, das im Testament als Vermächtnis vorgesehen war, jeweils 200.000,00 EUR.
Die Kinder forderten jedoch von der Witwe des Erblassers zusätzlich den Pflichtteil, da sie der Meinung waren, dass das Vermächtnis nicht ausreichend gewesen und hinter dem Pflichtteil zurückgeblieben sei und forderten ein notarielles Nachlassverzeichnis von der Witwe des Erblassers.
Nachdem die Witwe das notarielle Nachlassverzeichnis vorlegte, verlangten die Kinder die Bewertung der Nachlassimmobilie durch ein Sachverständigengutachten im Wege einer Wertermittlungsklage nach §2314 Abs.1 S.2 BGB.
Die Kinder haben geltend gemacht, weder ausdrücklich noch konkludent mit der Forderung eines Vermächtnisses und der Annahme der Zahlung, auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet zu haben. Der Wert des Nachlasses sei zunächst unklar gewesen. Die Witwe habe zuvor mit anwaltlichem Schreiben einen Auskunftsanspruch der Kinder anerkannt. Auf einen konkludenten Pflichtteilsverzicht könne sie sich nicht berufen.
Die Witwe des Erblassers hat sich darauf berufen, dass die Kinder nach §2307 BGB ein Wahlrecht hatten, ob sie das Vermächtnis annehmen oder es ausschlagen und den Pflichtteil geltend machen. Dieses Wahlrecht hätten sie vorbehaltlos ausgeübt.
Mit der vorbehaltlosen Forderung und Annahme des Vermächtnisses hätten sie jedoch konkludent den Verzicht auf einen vermeintlichen Zusatzpflichtteil erklärt.
Das Landgericht hat die Klagte mit der Begründung abgewiesen, die Kinder könnten keine Wertermittlung nach §2314 BGB verlangen, weil sie konkludent auf ihren Zusatzpflichtteil nach §2307 BGB verzichtet hätten.
In der Berufungsinstanz entschied das OLG, dass die Kinder nach §2307 Abs.1 S.2 Hs.1 BGB, als Zusatzpflichtteil von der Beklagten den Betrag verlangen können, der nach Abzug des Vermächtnisses als restlicher Pflichtteil verbleibt.
Auf diesen Zahlungsanspruch haben die Kinder weder ausdrücklich noch konkludent verzichtet.
Ein Erlassvertrag nach §397 BGB über den Zusatzpflichtteil sei durch die Vermächtniserfüllung nicht zustande gekommen. An die Feststellung des Verzichtswillens seien strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden.
Gerade bei Erklärungen, die als Verzicht oder Erlass gewertet werden sollen, muss das Gebot einer interessengerechten Auslegung beachtet werden.
Eine Aufgabe des Rechts durch den Gläubiger ist eine Ausnahme. An die Annahme eines Verzichts sind strenge Anforderungen zu stellen.
Ein Angebot zum Abschluss eines Erlassvertrages folge nicht aus der Annahme, die Kinder wären verpflichtet gewesen, sich bei der Annahme des Vermächtnisses die Geltendmachung des restlichen Pflichtteilsanspruchs vorzubehalten.
Das Gesetz enthalte in §2307 Abs.1 BGB keine Verpflichtung des Pflichtteilsberechtigten, sich den Zusatzpflichtteil vorzubehalten. Eine Vorbehaltserklärung sieht das Gesetz nicht vor, sondern das Recht des „mit dem Vermächtnis beschwerte(n) Erbe(n) … den Pflichtteilsberechtigten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses auf (zu) fordern“ (§2307 Abs.2 BGB).
Daher kann in der vorbehaltlosen Forderung des Vermächtnisses kein Verzicht auf den Zusatzanspruch gesehen werden.