Keine pauschale Erhöhung des Ehegattenerbteils gemäß §1371 Abs.1 BGB, wenn die Ehegatten im Güterstand der türkischen Errungenschaftsgemeinschaft leben
Beschluss des OLG Stuttgart vom 21. November 2022 – Az.: 8 W 320/21
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. November 2022 befasst sich mit einem Erbfall, bei dem der Nachlass sowohl in Deutschland als auch in der Türkei liegt. Es ging um die Frage, wie der Erbteil des überlebenden türkischen Ehegatten im Rahmen des türkischen Güterstands der Errungenschaftsbeteiligung zu berechnen ist.
Das Oberlandesgericht entschied, dass für in Deutschland belegenen unbeweglichen Nachlass eines türkischen Erblassers zwingend deutsches Recht gilt, jedoch keine Erbteilerhöhung nach §1371 Abs.1 BGB erfolgt, wenn der Erblasser im türkischen gesetzlichen Güterstand lebte und nicht im deutschen.
1. Zum Sachverhalt:
Der im Jahr 2019 verstorbene Erblasser war im Zeitpunkt seines Todes türkischer Staatsangehöriger, in zweiter Ehe verheiratet und hinterließ keine letztwillige Verfügung. Die Ehe mit seiner zweiten Ehefrau, die ebenfalls türkische Staatsangehörige ist, wurde im Jahr 1984 in der Türkei geschlossen. Aus erster Ehe hatte der Erblasser eine Tochter. Aus zweiter Ehe hatte der Erblasser drei weitere Kinder.
Die Tochter aus erster Ehe erhielt in der Türkei zunächst einen türkischen Erbschein, der die sie gemeinsam mit den drei weiteren Abkömmlingen aus zweiter Ehe als Erben zu jeweils 3/16 und die Ehefrau aus zweiter Ehe als Erbin mit einem Erbteil von 4/16 auswies.
Die Tochter aus erster Ehe beantragte sodann in Deutschland die Erteilung eines auf den inländischen unbeweglichen Nachlass beschränkten Erbscheins mit denselben Erbteilen.
Dem Erbscheinsantrag trat die Ehefrau des Erblassers aus zweiter Ehe entgegen. Zur Begründung führte sie an, dass sie mit dem Erblasser im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt habe, weshalb zu ihrem Erbteil von ¼ gemäß §1931 Abs.1 S.1 BGB die pauschale Erhöhung ihres Erbteils um ein weiteres Viertel gemäß § 1371 Abs.1 BGB vorgenommen werden müsse. Ihr Erbteil betrage in Bezug auf das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen somit ½.
Das zuständige Nachlassgericht folgte der Auffassung der Ehefrau des Erblassers nicht und nahm keine pauschale Erhöhung ihres Erbteils an. Es hat nicht die Anwendbarkeit deutschen, sondern des türkischen Ehe- und Güterrechts (Art. 202 des türkischen Zivilgesetzbuches (ZGB)) angenommen, wonach der Erblasser und seine Frau aus zweiter Ehe im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung gelebt haben, wonach die Ehegattin lediglich Erbin zu ¼ wird und keine pauschale Erhöhung des Erbteils um ein weiteres Viertel wie in der deutschen Zugewinngemeinschaft vorgenommen wird.
Hiergegen wandte sich die Ehefrau des Erblassers mit einer Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Zur Begründung führte sie an, es sei nicht davon auszugehen, dass der Erblasser und sie im Güterstand der türkischen Errungenschaftsbeteiligung gelebt hätten. Aufgrund des jahrzehntelangen Aufenthalts in Deutschland sei das deutsche Ehe- und Güterrecht anwendbar, sie hätten im deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt.
1. Rechtliches:
Das OLG Stuttgart wies die Beschwerde der Ehefrau mit folgender Begründung zurück:
Gemäß §14 des Nachlassabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei (Anlage 20 zu Art. 20 des Dt.-Türk. Konsularvertrages vom 28.5.1929) bestimmen sich die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte (§14 Abs.1 Nachlassabkommen) und in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt (Art. 14 Abs.2 Nachlassabkommen).
Demnach gilt für in Deutschland belegenen unbeweglichen Nachlass auch bei einem türkischen Erblasser deutsches Erbrecht.
Dennoch ist §1371 Abs.1 BGB nach der Auffassung des OLG Stuttgart im vorliegenden Fall nicht anwendbar und eine pauschale Erhöhung des Erbteils des Ehegatten nicht vorzunehmen. Denn §1371 Abs.1 BGB setze voraus, dass die Eheleute auch tatsächlich im deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gemäß §1363 Abs.1 BGB lebten.
Dies war hier nicht der Fall.
Denn der Erblasser und die Ehefrau lebten im türkischen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe sei gemäß Art. 15 Abs.1 und 14 Abs.1 Nr.1 EGBGB a.F. das türkische Güterrecht maßgeblich, weil beide Eheleute die türkische Staatsangehörigkeit hatten und eine Rechtswahl nicht getroffen worden war.
Gemäß §15 Abs.1 HS.2 des türkischen Internationalen Privatrechtsgesetzes komme für die güterrechtliche Wirkung der Ehe – wenn eine Rechtswahl nicht getroffen wurde – das Recht des Landes der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Eheleute zum Zeitpunkt der Eheschließung zur Anwendung.
Zum Zeitpunkt der Eheschließung im Jahr 1984 waren beide Eheleute im vorliegenden Fall türkische Staatsangehörige. Eine Rechtswahl haben sie nicht getroffen. Deshalb kommt für die güterrechtliche Wirkung der Ehe im vorliegenden Fall türkisches Güterrecht zur Anwendung.
Da in der türkischen Errungenschaftsbeteiligung keine pauschale Erhöhung der Erbquote des Ehegatten entsprechend §1371 Abs.1 BGB vorgenommen werde, bleibe es im vorliegenden Fall für die Ehefrau bei der Erbquote von ¼.