Zuständigkeit eines deutschen Nachlassgerichts bei Tod eines an Demenz erkrankten, der gegen seinen Willen in einem polnischen Pflegeheim untergebracht worden ist und dort verstirbt

03.03.2025

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22. Juli 2024 (Az. 14 W 50/24 Wx) befasst sich mit der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eines Erblassers im internationalen Erbrecht und der Zuständigkeit eines deutschen Nachlassgerichts.

Der Erblasser bezog eine Rente in Höhe von EUR 192,00 pro Monat zuzüglich Pflegegeld in Höhe von ca. EUR 1.861,92 pro Monat. Er hatte kein Vermögen in Polen, sein gesamtes Vermögen befand sich in Deutschland, er sprach kein polnisch und hatte familiäre und soziale Verbindungen nur nach Deutschland. Er wurde von seiner Ehefrau gegen bzw. ohne seinen Willen in einem Pflegeheim in Polen untergebracht, nachdem sich bei diesem eine Demenz bemerkbar machte, die ihn zu einem Pflegefall machte.  Der Ehemann verstarb in dem Pflegeheim in Polen. Die Ehefrau beantragte daraufhin beim Nachlassgericht an ihrem Wohnsitz in Singen, Deutschland, einen Erbschein, der sie als Alleinerbin auswies.

Das Nachlassgericht in Singen verwies die Ehefrau an die polnischen Nachlassbehörden, da es davon ausging, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hatte.

Daraufhin legte die Ehefrau Beschwerde beim Oberlandesgericht Karlsruhe ein, da sie der Meinung war, dass die deutschen Gerichte zuständig seien.

Das OLG Karlsruhe entschied, dass nach Art. 4 EuErbVO die deutsche Gerichtsbarkeit zur Entscheidung über den beantragten Erbschein international zuständig ist. Danach sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. 

 

Für die Bestimmung des unionsautonom auszulegenden Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“ eines Erblassers im Sinne des Art.4 EuErbVO ist neben dem objektiven Kriterium des tatsächlichen Aufenthalts in subjektiver Hinsicht das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich. 

Bei der Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts seien die Erwägungen Nr.23 und 24 der EuErbVO zu berücksichtigen, aus denen folgt, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers von der mit der Erbsache befassten Behörde anhand einer Gesamtbeurteilung der Umstände des Einzelfalls in einem einzigen Mitgliedsstaat festzulegen sei. 

Zu berücksichtigen seien im Einzelfall die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts, Umstände und Gründe für die Präsenz im betreffenden Staat, der Wille des Erblassers, in dem Staat den ständigen und gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen zu begründen und dem Aufenthalt Beständigkeit zu verleihen, familiäre und soziale Bindungen, gegebenenfalls die Begründung der Staatsangehörigkeit des Staates, die Belegenheit der wesentlichen Vermögensgegenstände im Staat sowie die Sprachkenntnisse des Erblassers. 

Gemessen an diesen Kriterien, habe der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. Art. 4 EuErbVO nach wie vor in Deutschland gehabt, da der Erblasser in subjektiver Hinsicht, aufgrund seiner Demenzerkrankung keinen eigenen Willen mehr bilden konnte und er deswegen jedenfalls ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht gewesen ist. Der Aufenthalt in Polen erfolgte zudem aus rein finanziellen Gründen und nicht, um einen neuen Lebensmittelpunkt zu begründen. Denn der Erblasser – hatte einschließlich des Pflegegeldes – monatlich etwa EUR 2.050,00 zur Verfügung, mit denen sich ein Aufenthalt in einem deutschen Pflegeheim nicht finanzieren ließ. Zudem hatte der Erblasser keinerlei persönliche Bezüge zu Polen und sein gesamtes Vermögen befand sich in Deutschland. Er war der polnischen Sprache nicht mächtig und hatte auch nicht die polnische Staatsangehörigkeit. Zudem war auch aufgrund seiner (fortschreitenden) Erkrankung nicht zu erwarten, dass er in Polen soziale Bindungen eingehen würde. Damit hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im i.S.d. Art.4 EuErbVO in Deutschland nicht aufgegeben. 

Das OLG Karlsruhe wies das Nachlassgericht in Singen daher an, über den Erbscheinsantrag der Ehefrau zu entscheiden und nicht an die polnischen Nachlassbehörden zu verweisen.

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