Leitfaden für GeschäftsführerInnen zu StaRUG und Insolvenzrecht
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Rahmen des allgemeinen Themenbereichs der Compliance möchten wir Geschäftsführern[1] von Kapitalgesellschaften (GmbH und Unternehmergesellschaften)[2] nachstehenden Überblick über wichtige Pflichten ihrer Organstellung verschaffen. Dieser Überblick beinhaltet insbesondere laufende Überwachungspflichten sowie Pflichten und Haftungsgefahren von Geschäftsführern, welche im Vorfeld einer Insolvenz und bei Insolvenzreife bestehen.
Selten ist die Insolvenz eines Unternehmens ein plötzliches Ereignis, sondern kündigt sich durch die verschiedenen Phasen einer wirtschaftlichen Krise an. Daher hat der Gesetzgeber mit Einführung des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG) zum 1. Januar 2021 für Geschäftsführer die gesetzliche Verpflichtung eingeführt, fortlaufend ein sogenanntes "Krisenfrüherkennungssystem“ zu unterhalten nebst der Verpflichtung, bei Entwicklungen, welche den Fortbestand des Unternehmens gefährden, rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Es liegt sowohl im Interesse des Unternehmens als auch im persönlichen Interesse der Geschäftsführer, eine Krise oder drohende Insolvenz eines Unternehmens rechtzeitig zu erkennen.
Während einer (lediglich) drohenden Zahlungsunfähigkeit stehen gesetzliche Sanierungsinstrumente bereit, die bei bereits eingetretener Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung) nicht mehr verfügbar wären. Hierdurch verbessern sich regelmäßig die Sanierungsaussichten. Zudem kann eine verspätete Insolvenzantragstellung bekanntermaßen zu einer erheblichen persönlichen Haftung des Geschäftsführers führen. Dennoch werden Insolvenzen in den allermeisten Fällen zu spät erkannt und die Stellung des Insolvenzantrags verschleppt.
Im Ergebnis wird ein Geschäftsführer, welcher in seinem Unternehmen pflichtwidrig kein Krisenfrüherkennungssystem unterhält, nicht nur wichtige Sanierungschancen, sondern auch die rechtzeitige Insolvenzantragsstellung verpassen, sodass ihm eine erhebliche persönliche Haftung mit seinem privaten Vermögen drohen kann.
Zu folgenden Themen möchten wir Ihnen einen Überblick verschaffen:
1. Die Pflicht zur Einrichtung eines Krisenfrüherkennungssystems (§ 1 StaRUG)
2. Drohende Zahlungsunfähigkeit als Chance
3. Insolvenzgründe und Insolvenzantragspflicht
a. Feststellung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO)
Feststellung der Überschuldung (§ 19 InsO)
Bedarf es vor dem Insolvenzantrag eines Gesellschafterbeschlusses?
4. Zahlungsverbote und Haftung der Geschäftsführer ab Insolvenzantragspflicht
5. Zahlungen nach Insolvenzantrag und vor Insolvenzeröffnung
6. Besonderheiten bei Insolvenz verbundener Unternehmen
Die Pflicht zur Einrichtung eines Krisenfrüherkennungssystems (§ 1 StaRUG)
Die meisten Geschäftsführer kennen ihre Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung. Weniger bekannt scheint die Tatsache, dass sich eine Insolvenz oftmals nicht erst an einer schwachen Liquidität zeigt, sondern sich in vielen Fällen schon vorher andeutet.
Seit Inkrafttreten des StaRUG am 1. Januar 2021 obliegt es dem Geschäftsführer, fortlaufend ein sogenanntes Krisenfrüherkennungssystem zu unterhalten, um eine Krise rechtzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die betreffende Regelung in § 1 Abs. 1 StaRUG lautet:
„Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.“
Die hiernach bestehenden Überwachungspflicht der Geschäftsführer beinhaltet jedenfalls eine möglichst langfristige Liquiditätsplanung, da eine fehlende Liquidität den Fortbestand eines Unternehmens am unmittelbarsten gefährdet. Die Geschäftsführer haben im Rahmen ihrer Überwachungspflicht aber auch die einer Liquiditätskrise zeitlich vorgelagerten Krisenstadien rechtzeitig zu erkennen. Schließlich bieten die verschiedenen Phasen einer Unternehmenskrise in vielen Fällen Gelegenheit, rechtzeitig den sogenannten „Turn Around“ zu schaffen. Eine Unternehmenskrise vollzieht sich üblicherweise über folgende Phasen:
Stakeholderkrise: Konflikte zwischen den Stakeholdern (z.B. Geschäftsführung, Gesellschafter, Arbeitnehmer, Banken) können zu Reibungsverlusten und Blockaden führen.
Strategiekrise: Fehlende Innovationen, mangelnde Kunden- und Wettbewerbsorientierung oder Qualitätsprobleme kennzeichnen diese Phase.
Rentabilitätskrise: Durch den Rückgang von Nachfrage, Umsätzen und Gewinnen gehen Marktanteile verloren und die Lagerhaltung nimmt zu.
Ertragskrise: Negative Betriebsergebnisse, Verzehr von Eigenkapital und fehlende Liquidität sind Anzeichen dieser Phase.
Liquiditätskrise: Die Existenz des Unternehmens ist akut gefährdet. Kredite können nicht mehr bedient werden und Lieferantenrechnungen bleiben unbezahlt.
Sofern die vorgenannten Krisenmerkmale eines Unternehmens nicht rechtzeitig erkannt und abgewendet werden, können diese in einen zwingenden Insolvenzgrund im Sinne der Insolvenzordnung münden (Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung). Die Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung lässt sich dann nicht mehr vermeiden.
Durch eine langfristige Liquiditätsplanung als Teil des Krisenfrüherkennungssystems können Geschäftsführer das Entstehen einer Insolvenz frühzeitig erkennen und durch geeignete Gegenmaßnahmen möglicherweise noch abwenden. Jedenfalls können Geschäftsführer hierdurch eine Insolvenzverschleppung und damit das hieraus resultierende Risiko ihrer persönlichen Haftung vermeiden.
In keinem Fall sollte der Zeitpunkt einer dem Unternehmen (lediglich) drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) verpasst werden. Anders als bei den zwingenden Insolvenzgründen der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO) besteht bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zwar das Recht, allerdings noch nicht die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Wenn es einem Geschäftsführer gelingt, die seinem Unternehmen drohende Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig zu erkennen, eröffnen sich Gestaltungsspielräume und damit möglicherweise auch Sanierungschancen, welche das Unternehmen ohne ein Krisenfrüherkennungssystem mit hoher Sicherheit verpassen würde (siehe hierzu Ziffer 2).
Im Übrigen sollten Geschäftsführer die Entwicklung des Unternehmensvermögens nicht nur bezüglich einer etwaigen Insolvenzreife, sondern auch aufgrund der folgenden gesetzlichen Verpflichtungen dauerhaft im Blick behalten:
Gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG ist der Geschäftsführer einer GmbH zur unverzüglichen Einberufung einer Gesellschafterversammlung verpflichtet, wenn sich aus der Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Bilanz ergibt, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist. Diese Verpflichtung besteht über den Wortlaut der Regelung hinaus (Jahresbilanz, Zwischenbilanz) bereits dann, wenn der Geschäftsführer auch ohne Zwischenbilanz von einem Verlust der Hälfte des Stammkapitals erfährt. Ein Verstoß gegen diese Einberufungsplicht ist für den betreffenden Geschäftsführer nicht zuletzt auch strafrechtlich relevant, da dieser mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden kann, § 84 Abs.1 GmbHG.
Gleiches gilt für die Aktiengesellschaft. Bei dieser hat der Vorstand bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen, § 92 Abs. 1 AktG. Auch hier kann ein Verstoß des Vorstandes gegen die Einberufungsplichten mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden, § 401 Abs. 1 AktG.
Für den Geschäftsführer einer UG gilt mit Ausnahme der Strafbewehrung Ähnliches. Dieser ist verpflichtet, dann unverzüglich zur Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn eine drohende Zahlungsunfähigkeit der UG eingetreten ist, § 5a Abs. 4 GmbHG.
Vor diesem Hintergrund sollten Geschäftsführer unter keinen Umständen ihre Verpflichtung zur Unterhaltung eines geeigneten Krisenfrüherkennungssystems vernachlässigen.
2. Drohende Zahlungsunfähigkeit als Chance:
Ein Unternehmen ist drohend zahlungsunfähig, wenn es voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, seine Verbindlichkeiten innerhalb des gesetzlichen Prognosezeitraums von 24 Monaten im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO). In Abgrenzung von der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO) besteht, wie oben bereits ausgeführt, bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zwar das Recht, allerdings noch nicht die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen.
Im Hinblick auf eine Sanierung bieten sich einem Unternehmen in der Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit größere Gestaltungsräume als bei einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung. Insbesondere besteht zu diesem Zeitpunkt noch folgendes Wahlrecht zwischen den Sanierungsinstrumenten des StaRUG und der Insolvenzordnung:
Sanierung nach StaRUG:
Geschäftsführer können versuchen, die Restrukturierung und damit die Sanierung eines Unternehmens mithilfe von Sanierungsinstrumenten anzustreben, die das StaRUG seit Inkrafttreten am 1. Januar 2021 bei „lediglich“ drohender Zahlungsunfähigkeit, d.h. nicht bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, zur Verfügung stellt.
Zu diesen Sanierungsinstrumenten zählt insbesondere der „Restrukturierungsplan“. Dieser Restrukturierungsplan ist inhaltlich einem „Insolvenzplan“ nachempfunden. Sowohl der Restrukturierungsplan als auch der Insolvenzplan haben zum Ziel, eine Einigung zwischen dem (schuldnerischen) Unternehmen und seinen Gläubigern zu erreichen, um eine Insolvenz abzuwenden bzw. zu beenden. Hierbei sind die Wirkungen eines Restrukturierungsplans nach StaRUG zwar weniger weitreichend als diejenigen des Insolvenzplans. Dafür ist ein Restrukturierungsplan ohne die stigmatisierende Wirkung eines Insolvenzantrags durchführbar.
Sanierung nach Insolvenzantrag (Insolvenzordnung):
Möglicherweise kann es zur Sanierung des Unternehmens auch sinnvoll sein, einen Insolvenzantrag zu stellen. Dies bietet sich an, wenn der Restrukturierungsplan nach StaRUG (s.o.) nicht zur nachhaltigen Sanierung ausreicht, sondern hierzu die weiterreichenden Wirkungen eines Insolvenzplans erforderlich sind.
Um einen Insolvenzplan zu erstellen, wird der Schuldner in der Regel beantragen, dass Insolvenzverfahren in „Eigenverwaltung“ durchzuführen. Wenn das Insolvenzgericht dem zustimmt, belässt es dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Die Eigenverwaltung ist oftmals eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen eines Insolvenzplans. Anders als das „einfache“ Insolvenzverfahren („Regelinsolvenzverfahren“) bietet die Eigenverwaltung dem Schuldner die Möglichkeit, den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten und parallel hierzu einen Insolvenzplan zu erarbeiten.
Einen zusätzlichen Vorteil für die Vorbereitung eines Insolvenzplans kann es darstellen, wenn das Insolvenzgericht dem Schuldner zusätzlich zu der Eigenverwaltung noch einen sogenannten „Schutzschirm“ gewährt. Zwingende Voraussetzung für diesen Schutzschirm ist, dass der Schuldner noch nicht zahlungsunfähig, sondern „lediglich“ drohend zahlungsunfähig ist. Auch vor diesem Hintergrund sollte der Geschäftsführer die Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht verpassen.
Im Einzelnen:
Das „Schutzschirmverfahren“ ist eine Sonderform des „Insolvenzeröffnungsverfahrens“. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist der Zeitraum zwischen Insolvenzantrag und der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (bzw. Ablehnung des Insolvenzantrags mangels Masse). Innerhalb dieses Zeitraums prüft das Insolvenzgericht das Vorliegen der behaupteten Insolvenzgründe.
Wenn der Geschäftsführer die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in „Eigenverwaltung“ beantragt und die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind, wird das Insolvenzeröffnungsverfahren als „vorläufige Eigenverwaltung“ durchgeführt. Im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung belässt das Insolvenzgericht dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen, sofern zu erwarten ist, dass die Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Zur Beaufsichtigung der vorläufigen Eigenverwaltung bestellt das Insolvenzgericht einen „vorläufigen Sachwalter“. Dieser hat die Aufgabe, die finanzielle Lage des Schuldners zu überwachen und sicherzustellen, dass die Vermögenswerte im Interesse der Gläubiger erhalten bleiben.
Wenn die Prüfung des Insolvenzgerichts im Rahmen der „vorläufigen Eigenverwaltung“ ergibt, dass ein Insolvenzgrund vorliegt, bestellt das Gericht anstelle eines Insolvenzverwalters einen „Sachwalter“. Der Sachwalter kann - muss aber nicht - mit dem vorläufigen Sachwalter identisch sein.
Sofern der Schuldner „lediglich“ drohend zahlungsunfähig ist, kann er als Sonderform der vorläufigen Eigenverwaltung ein Schutzschirmverfahren beantragen. Das Schutzschirmverfahren begünstigt die Vorbereitung eines Insolvenzplans zusätzlich. Insbesondere bieten sich durch den Schutzschirm folgende Vorteile gegenüber einer „einfachen“ vorläufigen Eigenverwaltung:
Vorschlagsrecht bezüglich des (vorläufigen) Sachwalters:
Anders als in der „einfachen“ vorläufigen Eigenverwaltung kann der Schuldner die Person des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren selbst vorschlagen. Das Insolvenzgericht kann von diesem Vorschlag nur dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich für die Übernahme dieses Amtes nicht geeignet ist. Die Ablehnung des vom Schuldner vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters hätte das Insolvenzgericht schriftlich zu begründen.
Anspruch des Schuldners auf Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen:
Im Schutzschirmverfahren ist das Insolvenzgericht zudem verpflichtet, auf Antrag des Schuldners die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen anzuordnen, die sich gegen den Schuldner und sein Vermögen richten. Zwar kann der Schuldner diesen Aussetzungsantrag auch in der „einfachen“ vorläufigen Eigenverwaltung stellen. Allerdings verbleibt dem Insolvenzgericht dort im Hinblick auf die Vollstreckungsaussetzung - anders als im Schutzschirmverfahren - noch ein Ermessen.
Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans:
Den wohl wesentlichsten Vorteil des Schutzschirmverfahrens stellt allerdings die dem Schuldner zur Vorlage eines Insolvenzplans gewährte Frist von bis zu drei Monaten dar. Diese Frist verschafft dem Schuldner wichtige Zeit zur Abstimmung eines Insolvenzplans mit seinen Gläubigern, um die Sanierung seines Unternehmens voranzutreiben.
Während dieses Zeitraums kann der Schuldner eine Reihe weiterer Maßnahmen ergreifen, die ihm die Fortführung seines Betriebes in diesem Zeitraum erleichtern. Zwar stehen dem Schuldner die betreffenden Erleichterungen auch in der „einfachen“ vorläufigen Eigenverwaltung zur Verfügung, allerdings nicht für einen zuvor festgelegten (planbaren) Zeitraum von bis zu drei Monaten. Im Einzelnen handelt es sich hierbei insbesondere um folgende Erleichterungen:
Begründung von Masseverbindlichkeiten:
Auf Antrag des Schuldners hat das Insolvenzgericht anzuordnen, dass der Schuldner sogenannte „Masseverbindlichkeiten“ begründet. Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten des Schuldners, die anders als die Insolvenzforderungen der Insolvenzgläubiger nicht nur in Höhe der oftmals sehr geringen Insolvenzquote befriedigt werden, sondern in voller Höhe. Die Möglichkeit des Schuldners, in der vorläufigen Eigenverwaltung Masseverbindlichkeiten zu begründen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die gesicherte Fortführung des schuldnerischen Betriebs. Nur die Möglichkeit zur Begründung von Masseverbindlichkeiten schafft unter den Vertragspartner des Schuldners Vertrauen, für die eigene Leistung (z.B. Lieferung) eine vollwertige Gegenleistung zu erhalten.
Vorfinanzierung von Insolvenzgeld:
Der Schuldner hat während der vorläufigen Eigenverwaltung die Möglichkeit, die Auszahlung des Insolvenzgelds „vorzufinanzieren“, bevor ein Anspruch seiner Arbeitnehmer auf Auszahlung dieses Insolvenzgeld gegen die Bundesagentur für Arbeit überhaupt entstanden ist. Ziel dieser Maßnahme ist es, Zahlungsausfälle bzw. Zahlungsverzögerungen für die Arbeitnehmer zu vermeiden, um diesen eine weiterhin motivierte Mitarbeit im Unternehmen zu ermöglichen. In Fällen der Insolvenzgeldvorfinanzierung kauft ein Dritter (i. d. R. eine Bank) die Forderung gegen die Bundesagentur für Arbeit auf das Insolvenzgeld von dem Arbeitnehmer und lässt sich gleichzeitig die Forderung in Höhe des Kaufpreises abtreten. Das Insolvenzgeld wird für einen Zeitraum von maximal drei Monaten gezahlt. Dieser Zeitraum umfasst grundsätzlich die drei Monate vor dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und kann im Rahmen eines dreimonatigen Schutzschirms ausgeschöpft werden.
Fortgesetzte Nutzung von Betriebsmitteln Dritter:
Das Insolvenzgericht kann anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwertet werden können oder deren Aussonderung und Übergabe an Dritte verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen, sondern vom Schuldner weiter eingesetzt werden können, wenn dies zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung ist.
Zusammenfassend bieten sich bei „lediglich“ drohender Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich höhere Sanierungschancen, als bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit. Nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit besteht die Möglichkeit, einen Restrukturierungsplan nach StaRUG zu erstellen oder das vorläufige Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung zusätzlich mit einem Schutzschirm zu flankieren. Bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit besteht diese Möglichkeit nicht mehr und das (vorläufige) Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bliebe ohne die Vorzüge des Schutzschirmverfahrens durchzuführen.
Vor diesem Hintergrund ist Geschäftsführern dringend zu empfehlen, die nach dem StaRUG bestehende Verpflichtung zur Unterhaltung eines Krisenfrüherkennungssystems zu erfüllen. Unter keinen Umständen sollten Geschäftsführer die drohende Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens übersehen, da nur diese als freiwilliger Insolvengrund ein Wahlrecht zwischen Restrukturierungsplan nach dem StaRUG und einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung mit Schutzschirm bietet.
3. Insolvenzgründe und Insolvenzantragspflicht:
Neben dem freiwilligen Insolvenzeröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) bestehen die beiden weiteren Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO). Anders als die drohende Zahlungsunfähigkeit begründen beide Insolvenzgründe nicht nur das Recht, sondern jeweils die unbedingte Pflicht des Geschäftsführers, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen Insolvenzantrag zu stellen. Ein Insolvenzantrag ist wegen Zahlungsunfähigkeit spätestens innerhalb von drei Wochen und nach Eintritt der Überschuldung spätestens innerhalb von sechs Wochen zu stellen, § 15a Abs. 1 InsO.
Im Falle einer sog. Insolvenzverschleppung, also einer verspäteten Stellung eines Insolvenzantrages, drohen dem Geschäftsführer neben seiner persönlichen Haftung (siehe hierzu Ziffer 4) zudem auch strafrechtliche Konsequenzen. Für die verspätete Stellung eines Insolvenzantrags droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, § 15a Abs. 4 InsO. Zudem ist ein wegen Insolvenzverschleppung verurteilter Geschäftsführer - ein Strafbefehl mit einer geringen Geldstrafe genügt - für die Dauer von fünf Jahren als Geschäftsführer ungeeignet.
Eine belastbare Prüfung der beiden Insolvenzgründe ist somit auch aus Sicht der Geschäftsführer von erheblicher persönlicher Bedeutung und stellt regelmäßig eine große Herausforderung dar, die stets einer sachkundigen Beurteilung bedarf.
Feststellung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO):
Die Regelung in § 17 Abs. 1 InsO definiert die Zahlungsunfähigkeit als allgemeinen Eröffnungsgrund sowohl für natürliche als auch für juristische Personen. In § 17 Abs. 2 InsO heißt es hinsichtlich der Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit, wie folgt:
„Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.“
Die Prüfung einer Zahlungsunfähigkeit erfolgt in zwei Schritten:
(1) Im ersten Schritt erfolgt eine stichtagbezogene Gegenüberstellung der zum Beurteilungszeitpunkt bestehenden fälligen Zahlungspflichten (Passiva I) und den sofort zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln des Unternehmens, insbesondere Bargeld, Bankguthaben und offene Kreditlinien (Aktiva I).
Decken die Aktiva I die Passiva I, scheidet eine Zahlungsunfähigkeit aus.
Decken die Aktiva I die Passiva I nicht, ergibt sich eine sogenannte „Liquiditätslücke“; es schließt sich die nachstehend unter Ziffer 2 skizzierte Prüfung an.
(2) Im zweiten Schritt erfolgt eine Zahlungsfähigkeitsprognose in Form einer Zeitraumbetrachtung (Finanzplanung) für die nächsten drei Wochen. Durch diese Prognose wird die weitere Entwicklung der Liquiditätslücke untersucht und von einer nur vorübergehenden Zahlungsstockung (keine Zahlungsunfähigkeit) abgegrenzt. Der Bundesgerichtshof hat hierzu mit Urteil vom 24. Mai 2005 (IX ZR 123/04) folgende Feststellungen getroffen:
„1. Eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend.
2. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auzugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 Prozent erreichen wird.
3. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 Prozent oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.“
In diese Zahlungsfähigkeitsprognose (Finanzplanung) sind auf der Aktivseite neben den verfügbaren Zahlungsmitteln (Aktiva I) die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel (Aktiva II) einzubeziehen und zu den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (Passiva I) sowie den innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (Passiva II) in Beziehung zu setzen (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 – II ZR 88/1BGH).
Die vorliegend vereinfacht dargestellten Prüfungsschritte werfen regelmäßig weitere Einzelfragen auf, welche hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Nur exemplarisch genannt sei in diesem Zusammenhang die Frage nach der Fälligkeit einer Zahlungsverpflichtung. Im Rahmen der Zahlungsunfähigkeitsprüfung sind einerseits Forderungen als fällig zu berücksichtigen, deren Gläubiger den Schuldner zwar zur Zahlung aufgefordert, dann aber weitere Bemühungen der Forderungsbeitreibung eingestellt haben, ohne ihr Einverständnis damit zum Ausdruck zu bringen, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit vorerst nicht erfüllt. Hingegen darf die Forderung eines Gläubigers, der durch Stundung in eine spätere oder in eine nachrangige Befriedigung eingewilligt hat, nicht als fällig berücksichtigt werden. Dies gilt auch, wenn keine rechtlich bindende Vereinbarung getroffen worden ist oder die Vereinbarung nur auf die Einrede des Schuldners berücksichtigt wurde und vom Gläubiger einseitig aufgekündigt werden könnte. Die Klärung der Fälligkeit einer Zahlungsverpflichtung muss regelmäßig der Prüfung im Einzelfall vorbehalten bleiben.
Die Prüfung der Zahlungsfähigkeit sollte daher regelmäßig nur auf Grundlage einer sachkundigen Beratung, z.B. durch einen mit dieser Prüfung konkret beauftragten Rechtsanwalt oder Steuerberater, erfolgen. Hierzu hat das Institut der Wirtschaftsprüfer den Standard IDW S 11 entwickelt, dessen Durchführung bezüglich des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit Klarheit schaffen soll.
Feststellung der Überschuldung (§ 19 InsO):
Gemäß § 15a Abs. 1 InsO ist der Geschäftsführer im Falle des Eintritts einer Überschuldung verpflichtet, innerhalb von 6 Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Insolvenzgrund der Überschuldung wird in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO wie folgt definiert:
„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“
Die Prüfung einer „insolvenzrechtlichen Überschuldung“ erfolgt in zwei Stufen, über deren Reihenfolge im Einzelfall der beauftragte Prüfer entscheiden wird:
(1) Zunächst wird das Vorliegen einer „rechnerischen Überschuldung“ anhand eines „Überschuldungsstatus“ geprüft, indem eine Vermögensanalyse durch Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva erfolgt. Bei dieser Gegenüberstellung sind die Aktiva zu Liquidationswerten anzusetzen.
(2) Sollte sich mit dem ersten Prüfungsschritt eine rechnerische Überschuldung ergeben, würde eine insolvenzrechtliche Überschuldung dennoch ausscheiden, sofern eine Fortführung des Unternehmens in den nächsten 12 Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist, § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO. Hierzu ist eine sogenannte „Fortbestehensprognose“ aufzustellen. Diese Fortbestehensprognose besteht aus dem subjektiven Fortführungswillen und zwei objektiven Elementen, nämlich einem Unternehmenskonzept und einer darauf aufbauenden, integrierten Finanzplanung. Hierbei kann die Finanzplanung als Basis der Fortbestehensprognose angesehen werden, da diese aufzeigt, ob und wie die Gesellschaft voraussichtlich in den einzelnen Zeitpunkten im Prognosezeitraum ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Sofern die Fortbestehensprognose für die nächsten 12 Monate negativ ausfällt, ist neben der rechnerischen Überschuldung auch eine insolvenzrechtliche Überschuldung und somit der Insolvenzgrund nach § 19 InsO zu bejahen.
Im Rahmen der Bestimmung der Fortbestehensprognose ist es unabdingbar, dass auch zu einem späteren Zeitpunkt noch dargelegt werden kann, dass am Stichtag die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich gewesen ist. Diese sollte daher nachvollziehbar dokumentiert sein. Bitte beachten Sie auch, dass der Begriff der Fortbestehensprognose nicht aus einer handelsrechtlichen Fortführungsprognose hergeleitet werden kann, sondern beide Begriffe streng voneinander zu trennen sind.
Die vorliegend vereinfacht dargestellten Prüfungsschritte werfen regelmäßig zahlreiche Einzelfragen auf, welche zur besseren Übersicht vorliegend nicht im Einzelnen dargestellt werden. Nur exemplarisch sei in diesem Zusammenhang die regelmäßige auftretende Frage genannt, ob eine Rangrücktrittsvereinbarung, die der Schuldner zur Vermeidung oder Beseitigung einer rechnerischen Überschuldung mit einem Gläubiger getroffen hat, die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt oder nicht. Die Klärung dieser Frage ist regelmäßig von erheblicher Bedeutung und sollte einer Prüfung im Einzelfall vorbehalten bleiben.
Wie die Zahlungsfähigkeit sollte auch die Prüfung der Überschuldung regelmäßig nur auf Grundlage einer sachkundigen Beratung erfolgen, beispielsweise durch einen mit dieser Prüfung konkret beauftragten Rechtsanwalt oder Steuerberater. Hierzu hat das Institut der Wirtschaftsprüfer den bereits oben genannten Standard IDW S 11 entwickelt, der auch im Hinblick auf das Vorliegen des Insolvenzgrundes der Überschuldung Klarheit schaffen soll.
Bedarf es vor dem Insolvenzantrag eines Gesellschafterbeschlusses?
Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bedarf es vor Insolvenzantragstellung des Geschäftsführers keines vorherigen Gesellschafterbeschlusses. Die gemäß § 15a Abs. 1 InsO gesetzlich normierte Antragspflicht der Vertretungsorgane besteht uneingeschränkt und somit auch unabhängig von einer entsprechenden Information oder Mitwirkung der übrigen Organe der Gesellschaft oder ihrer Gesellschafter. Die Antragspflicht des Vertretungsorgans besteht demgemäß sogar auch dann, wenn die Gesellschafterversammlung eine etwaige Antragstellung untersagen sollte.
Bitte beachten Sie: Etwas anderes gilt für die freiwillige Antragstellung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO. Diese Antragstellung stellt keine reine Geschäftsführungsmaßnahme dar und bedarf im Innenverhältnis als strategische Maßnahme grundsätzlich immer eines vorherigen Gesellschafterbeschlusses. Daher kann die eigenmächtige Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens auch zu einer Schadensersatzpflicht des antragstellenden Geschäftsführers führen.
4. Zahlungsverbote und Haftung der Geschäftsführer ab Insolvenzantragspflicht:
Sobald die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) des Unternehmens vorliegen, besteht die sogenannte „Insolvenzreife“ und damit die Pflicht der Geschäftsführer, spätestens innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen, § 15a Abs. 1 InsO (s.o.). Ein Gestaltungsraum des Geschäftsführers, wie er bei einer (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens möglicherweise noch gegeben war (s.o.), besteht nur noch eingeschränkt. Möglicherweise ist noch an ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (ohne Schutzschirm) mit Insolvenzplan zu denken. In jedem Fall aber besteht Insolvenzreife und damit die unbedingte Pflicht zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags.
Neben dem rechtzeitigen Insolvenzantrag ist aus Sicht der Geschäftsführer das aus der Insolvenzreife resultierende Zahlungsverbot gemäß § 15b Abs. 1 InsO von ganz maßgeblicher Bedeutung. Sollte ein Geschäftsführer gegen dieses Zahlungsverbot verstoßen und nach (auch nur unerkannter) Insolvenzreife noch Zahlungen zulasten des insolventen Unternehmens leisten, veranlassen oder diese Zahlungen (durch Unterlassen) zulassen, haftet dieser Geschäftsführer für die betreffenden Zahlungen gemäß § 15b Abs. 4 InsO in voller Höhe persönlich, d.h. mit seinem privaten Vermögen. Da nach Schätzung von Insolvenzverwaltern rund 90 % der Geschäftsführer den Zeitpunkt der Insolvenzreife nicht rechtzeitig erkennen und den Insolvenzantrag somit (unbemerkt) verschleppen, droht Geschäftsführern oftmals eine persönliche Haftung, die in nicht wenigen Fällen existenzgefährdend ist oder sogar zur Folgeinsolvenz des Geschäftsführers führt.
Die hohe Gefahr einer persönlichen Haftung soll folgendes Beispiel veranschaulichen: Als Zahlungen, die eine Haftung des Geschäftsführer aus § 15b Abs. 4 InsO begründen, sind auch sämtliche Zahlungseingänge anzusehen, die ab Insolvenzreife auf einem Bankkonto der Schuldnerin eingehen, welches zu diesem Zeitpunkt im Soll (d.h. „im Minus“ ) geführt wird, z.B. wegen einer zuvor genutzten Kontokorrent-Kreditlinie. Jedes Einziehen dieser Zahlungseingänge ist als Zahlung der Schuldnerin an das kontoführende Kreditinstitut anzusehen. Das Kreditinstitut ist bis zum Ausgleich des Kontokorrents als Gläubigerin der Schuldnerin anzusehen, welche durch die Zahlungseingänge noch eine Befriedigung ihrer Forderung erhält. Daher ist Geschäftsführern in diesem Zusammenhang dringend zu raten, Zahlungseingänge zugunsten der Schuldnerin ab Insolvenzreife ausschließlich noch auf einem Bankkonto einzuziehen, welches im Haben (d.h. „im Plus“) geführt ist. Sollte ein solches Bankkonto nicht zur Verfügung stehen, wäre hierzu ein gesondertes Bankkonto zu eröffnen.
5. Zahlungen nach Insolvenzantrag und vor Insolvenzeröffnung:
Zunächst ist klarzustellen, dass das unter Ziffer 4 dargestellte Zahlungsverbot auch nach Stellung eines Insolvenzantrags und während des Insolvenzeröffnungsverfahrens grundsätzlich weiter gilt. Allerdings gelten für Zahlungen in diesem Zeitraum Besonderheiten, die regelmäßig die sachkundige Beratung eines Rechtsanwalts erforderlich machen werden.
Nur exemplarisch erlauben wir uns in diesem Zusammenhang folgende Standardprobleme darzustellen.
Pflichtenkollision zwischen dem Zahlungsverbot aus § 15b Abs. 1 InsO und steuerlichen Zahlungspflichten?
Regelmäßig stellt sich die Frage, ob das Zahlungsverbot in § 15b InsO die Geschäftsführer auch von der Erfüllung der steuerlichen Zahlungspflichten des Unternehmens befreit. Schließlich haften Geschäftsführer für die Nichterfüllung der steuerlichen Zahlungspflichten des Unternehmens ebenfalls persönlich, §§ 34, 69 AO. Insoweit könnte es ab Insolvenzreife zu einer Pflichtenkollision zwischen dem Zahlungsverbot aus § 15b InsO und der steuerlichen Zahlungspflicht kommen.
Zur Vermeidung dieser Pflichtenkollision wurde die Regelung in § 15b Abs. 8 InsO eingeführt. Hiernach liegt die Verletzung steuerlicher Zahlungspflichten dann nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder der Überschuldung (§ 19 InsO) und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag (Insolvenzeröffnungsverfahren) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden. Voraussetzung für diese Privilegierung ist allerdings, dass der Geschäftsführer der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO rechtzeitig nachkommt. Für den Zeitraum einer Insolvenzverschleppung kommt die Privilegierung hingegen nicht (bzw. nur eingeschränkt) in Betracht.
Pflichtenkollision zwischen dem Zahlungsverbot aus § 15b InsO und einer persönlichen Haftung der Geschäftsführer für das Vorenthalten von Arbeitsentgelt?
Auch in Bezug auf Arbeitsentgelt scheinen gegensätzliche Normbefehle zu bestehen. Während die Regelung zu § 15b Abs. 1 InsO ein allgemeines Zahlungsverbot verhängt, droht im Falle des Vorenthaltens von Beiträgen des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung eine persönliche Haftung des Geschäftsführers (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB). Diese Pflichtenkollision hat der BGH zivilrechtlich dahingehend gelöst, dass die Zahlung der Arbeitnehmer-Beitragsanteile (jedenfalls innerhalb der drei Wochen Frist) mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers vereinbar und damit privilegiert ist. Soweit der Geschäftsführer also die Arbeitnehmeranteile zur Rentenversicherung und Krankenversicherung innerhalb der Antragspflicht noch weiterhin zahlt, kann er hierdurch seiner Strafbarkeit nach § 266a StGB und einer insoweit drohenden persönlichen Haftung entgehen, ohne gleichzeitig hierdurch gegen das Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 1 InsO zu verstoßen. Hierbei ist den Geschäftsführern dringend zu empfehlen, zur Dokumentation der Pflichterfüllung die betreffenden Zahlungen ausdrücklich als Arbeitnehmeranteile zu kennzeichnen.
6. Besonderheiten bei Insolvenz verbundener Unternehmen:
Wenn ein Unternehmen gesellschaftsrechtlich mit anderen Gesellschaften verbunden ist, beispielweise Mutter- und Tochtergesellschaften oder Konzerngesellschaften, bleibt die Zahlungsfähigkeits- und/oder Überschuldung für jede Gesellschaft gesondert zu prüfen. Eine insolvenzrechtliche Betrachtung auf Konzern- oder Gruppenebene verbietet sich. Zwar mag eine gemeinsame Betrachtung für die erste Einschätzung ihre Berechtigung haben. Jedoch fehlt dieser eine insolvenzrechtlich belastbare Aussagekraft. Auch hier sollte die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung laufend und regelmäßig nur auf Grundlage einer sachkundigen Beratung, z.B. durch einen mit dieser Prüfung konkret beauftragten Rechtsanwalt oder Steuerberater, und zudem für jede Gesellschaft separat erfolgen (bspw. nach dem Standard IDW S 11).
Besonderheiten bestehen beim „Cash-Pooling“ unter verbundenen Unternehmen. Hier erlangt ein Krisenfrühwarnsystem besondere Bedeutung. Dieses sollte über das Unternehmen des Geschäftsführers hinaus auch die anderen Gesellschaften des Cash-Pooling-Vertrags überwachen. Beispielsweise kommt es hier regelmäßig zu sogenannten „Upstream-Loans“, bei denen die Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft Darlehen gewährt. Die Gewährung dieser Darlehen führt fortlaufend zum Abfluss der liquiden Mittel der Tochtergesellschaft. Dies stellt regemäßig nur dann keinen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsregel des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG dar, wenn die betreffenden Auszahlungen der Tochtergesellschaft gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG durch einen vollwertigen Darlehensrückzahlungsanspruch gegenüber der Muttergesellschaft gedeckt sind. Daher gehen mit dem Cash-Pooling bzw. dem Gewähren von Upstream-Loans laufende Überwachungspflichten des Geschäftsführers im Hinblick auf die Bonität der Muttergesellschaft einher. Sollte eine Krise der Muttergesellschaft bestehen, wäre an die unverzügliche Beendigung (Kündigung) des Cash-Poolings zu denken. Sollte ein Darlehensrückzahlungsanspruch der Tochtergesellschaft gegenüber der Muttergesellschaft nicht mehr werthaltig sein, könnte der Tochtergesellschaft kurzfristig die eigene Insolvenz (Überschuldung) drohen.
Daher sollte gerade bei verbundenen Unternehmen und insbesondere bei Cash-Pooling-Verträgen stets ein geeignetes Krisenfrühwarnsystem unterhalten werden, durch welches eine wirtschaftliche Krise, drohende Zahlungsunfähigkeit oder etwaige Insolvenzgründe des eigenen und der verbundenen Unternehmen rechtzeitig erkannt werden kann.
Wir erlauben uns, anzumerken, dass unsere Ausführungen lediglich dazu dienen sollen, bei Geschäftsführern ein allgemeines Bewusstsein für die aufgezeigten Problemfelder zu schaffen. Wir beanspruchen mit unseren Ausführungen daher weder Vollständigkeit noch sollen oder können diese eine sachgerechte Beratung im Einzelfall ersetzen. Wir stehen für Ihre konkreten Rückfragen jederzeit gerne zur Verfügung.
Ihr VENTUS-Team
[1] Zur besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet. Sämtliche personenbezogenen Bezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Diese Formulierung dient allein der sprachlichen Vereinfachung und ist wertfrei zu verstehen.
[2] Diese Ausführungen gelten gleichermaßen für Vorstände von Genossenschaften und Vorstände von Aktiengesellschaften sowie für die organschaftlichen Vertreter (Geschäftsführer) von Gesellschaften, die zur Vertretung einer rechtsfähigen Personengesellschaft ermächtigt sind, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (z.B. GmbH & Co. KG und UG & Co, KG)